Es ist ein besonderer Tag, der 17.11.: Er beginnt für uns im Dunkeln vor dem Rudolfinum in Prag und wird, 16 Stunden später, auch dort enden. Dann, wenn die Tschechische Philharmonie mit Pianist Lukas Vondracek unter Leitung von Jakub Hrusa Rachmaninows zweites Klavierkonzert gibt. Am Gedenktag zu Ehren der Samtenen Revolution von 1989. Ein Tag der Demokratie, Freiheit und Gewaltlosigkeit. Ein Tag, der tschechische Werte würdig dokumentiert – die Liebe zur Freiheit, zur Kunst.
So beginnt dieser Mittwoch um vier Uhr vor dem noch schummerigen Rudolfinum, wo ein rotes Coupé und vier Männer frösteln. Doch es wird gleich heller. Nicht wegen der Sonne, die lümmelt noch deutlich weiter im Osten herum. Nein, wegen der imposanten Laternen. Ich habe den Jungs da drin schon Bescheid gesagt, die Lampen werden gleich richtig hell, verspricht Skoda-Mann Vita, der die ganze Sache hier organisiert.
Langer Atem trifft Tradition
Und die ist ziemlich exklusiv. Das Rudolfinum gibt es einmal, das 1100 OHC Coupé gab es zweimal, doch unseres ist das einzige existierende. Genauer: wiederhergestellte. Nicht repariert oder restauriert, sondern rekonstruiert. Von Grund auf, mit langem Atem, Sachverstand und der Kombination aus moderner Technik und traditionellem Handwerk. Darauf verstehen sie sich auch in Tschechien – und wie! Vor allem, wenn es um ein über 60 Jahre altes Auto geht, noch dazu ein bedeutendes in der 120-jährigen Skoda-Motorsport-Historie. Nach dem Ende ihrer Rennkarriere 1962 durften die Coupés im Straßenverkehr toben, was beide das Leben kostete. Nicht das der Fahrer, aber das der 1100er. Eines geriet sogar in Brand. Immerhin rettet man übrig gebliebene Teile wie die Hinterachse mit integriertem Getriebe sowie den Fachwerkrahmen samt Vorderachse fürs Museum.
Wie der 1100 OHC so dasteht, magst du nicht glauben, dass die ersten Planungen für ihn schon 1956 begannen. Wie ein maßstabsgerecht verkleinerter Ferrari steht das orangerot lackierte Coupé da, was es mit dem komplett verdeckfreien Roadster eint, auf dem es basiert. Im Gegensatz zu dessen Kunststoffkarosserie umgibt sich die geschlossene Variante mit Aluminium der Blechstärken 0,8 bis ein Millimeter – einem Entwurf des Werksdesigners Jaroslav Kindl –, deren Dach man notfalls runterrupfen könnte. Das komplette Kleid entsteht auf einem Holzmodell nach Originalunterlagen, auf dem eine Gruppe von Klempnern Aluminiumplatten manuell aushämmert, Einzelteile schweißt und nietet. Hilfreich: die Kollegen aus dem Prototypenbau, die aus Scans von 2-D-Zeichnungen mittels CAD ein dreidimensionales Netz sowie 3-D-Modelle erstellen, die man im virtuellen Studio mit originalen Fotos abgleicht und bis zur endgültigen Freigabe korrigiert. Dabei profitiert die Truppe auch von den Erfahrungen der 2015 abgeschlossenen Restaurierung des Roadsters.
Spartak auf Steroid
Und das Ergebnis strahlt jetzt im Schein der mittlerweile hellen Laternen des Rudolfinum, lockt durch die leichtgewichtigen Türen ins Innere. Zeit, Prag zu wecken. Denn die Schalldämmung des frisch gemachten Spartak-Vierzylinders unterbietet die sonstige technische Finesse hörbar. Also: Zündung, Benzinpumpe und Start. Zuerst röchelt der Aluminium-1100er noch etwas asthmatisch, hüstelt angesichts der frischen Morgenluft. Doch dann nimmt er Witterung auf. Die Doppelvergaser atmen tief ein, die optimierten Brennräume verdichten mit 9,3:1, bevor Doppelzündung und freizügige Abgasanlage den Rest erledigen. Tja Freunde, 92 PS bei 7700/min – da macht die Basis "440 Spartak" mit ihren schütteren 40 PS dicke Backen. Doch die hohe Literleistung bedeutet Arbeit. Zumal auch das maximale Drehmoment ziemlich spät zu Letzterer erscheint.
Was morgens um halb fünf in Prag regelrecht den Putz von den Wänden brüllt. Untenrum? Nix. In der Mitte? Geht so. Oben? Aber hallo! Also bleibt es beim ersten und zweiten Gang, an der Ampel und im Schleichverkehr will das Biest mit dem Gas bei Laune gehalten werden, sonst verrotzt es trotzig seine Atemwege. Um sie dann lustvoll wieder freizudrehen.
So verlangt der Antrieb volle Konzentration, der Rest des 200 km/h schnellen 555-Kilo-Sportlers mit Doppeldreiecks-Querlenkern vorn und Koppelachse mit Schlepplenkern hinten spielt eine Nebenrolle. Zumindest auf dem Weg vom Rudolfinum vorbei am Klementinum entlang des Moldauufers, zurück über die Moldau und rauf Richtung Letna. Dabei vertrüge sein bocksteifer Gitterrohrrahmen samt Transaxle-Fünfganggetriebe deutlich mehr, als die zwei, drei scharfen Kurven den Borrani-Speichenrädern vorsetzen.
Weglassen statt Petabyte
Doch der Sound im Dämmerlicht der gelben Laternen macht es wett. Und die Lehrstunde in Minimalismus. Niedriges Gewicht hat verschiedene Väter – und eine Historie. Lange vor Petabyte-befeuerten Simulationen oder exotischen Werkstoffen aus dem Autoklaven oder sonst woher genügte die Kombination der Konzentration auf Wesentliches und das Weglassen des Unwesentlichen, um Fahrdynamisches hervorzubringen. Wo manche heutzutage eine Handschaltung schon als das höchste der Gefühle beklatschen, zeigt der historische Skoda pure Dynamik. Allein, wie sie das Getriebe und die links und rechts daran angeschmiegten hinteren Trommelbremsen platzierten, um den Schwerpunkt inklusive Pilot noch weiter zu zentralisieren.
Bis heute faszinierend. Im Wortsinn ungefiltert und ungedämmt klemmt er dich in seinen kleinen Sitz, drückt dir das große Lenkrad mit dem dünnen Kranz in die Hand, lässt dich allein und hält dich doch gefangen. Beim Lenken, Bremsen, Schalten. Nichts geht von hier selbst, alles verlangt nach Rhythmus. Und funktioniert am Ende als grandioses Zusammenspiel aller Teilnehmer.
Hui, gerade noch mal die Kurve gekriegt zur Klangfülle Rachmaninows, der Virtuosität Lukas Vondraceks, die unseren Abend im Rudolfinum beschließt. Eben ein besonderer Tag, dieser 17.11. in Prag.
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