Wer sich gezielt auf die Suche nach einem Klassiker macht, steht vor einer wichtigen Frage: Sollte man lieber die frühe automobile Legende kaufen oder den neueren, meist technisch anspruchsvolleren Nachfolger? Dazu hat AUTO BILD KLASSIK sechs Legenden gecheckt und mit ihrem direkten Nachfolger verglichen: Es treten an: BMW 2002 tii gegen 323i, Porsche 356 gegen 912, Mercedes 280 SL Pagode gegen 280 SL (R 107) und VW Golf I GTI gegen Golf II GTI!
BMW 2002 tii vs. 323i - Sportskanone oder Salonlöwe?
Der gelbe BMW-Farbton heißt "Golf" Anfang der 70er-Jahre, und treibt dem Betrachter fast die Tränen in die Augen. In dieser Farbe steht unser '02er da. Als zweitüriger Ableger der sogenannten Neue-Klasse-Limousinen, die seit 1962 gebaut werden und BMW vor dem Ruin retten, kommt der Nullzwo 1966 auf den Markt. Das 130 PS starke Topmodell, der 2002 tii, ist von 1971 bis 1975 im Programm. Knapp 39.000 BMW 2002 tii rollen vom Band, zugelassen sind bei uns noch rund 300. Beim Fahren ist der tii so unbeirrbar auf die Ideallinie fixiert wie ein Gepard auf Beutejagd – und wenn das Heck doch mal nach außen drängt, lässt sich der tii leicht wieder einfangen. Dass er den Ruf von BMW, sportliche Autos zu bauen, im Bewusstsein der Auto-Fangemeinde verankert hat, verdankt er vor allem seinem drehfreudigen Motor. Fast scheint es, als blicke der polarissilberne 323i der ersten 3er-Reihe (E21) ein bisschen neidisch auf den bunten Paradiesvogel. Schlicht und trotzdem eindrucksvoll hat Paul Bracq den Zweitürer gezeichnet. Der Erfolg gab ihm recht: Mit über 1,3 Millionen Exemplaren ist der E21 der erste BMW, der mehr als eine Million Mal produziert wird. Sein neu entwickelter Reihensechszylinder ist ein Meisterwerk der Münchener Ingenieurskunst. Schaltfaules Cruisen beherrscht er ebenso wie Hochdrehen bis zum Begrenzer.
Porsche 356 C vs. 912 - Sportkäfer oder Sparelfer?
Die vierzylindrigen Heckmotor-Porsche werden von der Ikone 911 überstrahlt. Doch auch dem 356 nähert man sich heute voller Ehrfurcht, denn er ist der erste Seriensportwagen der Marke. Die Türen schließen luftdicht, hohe Bordwände mauern den Fahrer ein, zarter Chromschmuck ziert das Armaturenbrett. Das Zündschloss ist schon beim 356 links. Nach kurzem Schlüsseldreh fangen die 75 PS vertraut zu käfern an. Beim Beschleunigen verfällt der Stoßstangenmotor in eine aggressive Tonart. Das spontane Einlenken, die kaum vorhandene Seitenneigung, die ausgeprägte Wendigkeit und die perfekten Ganganschlüsse – man spürt hier bereits das Erbgut, das heute noch in jedem Porsche steckt. Umsteigen in den 912: Den Stempel, nur ein Sparelfer zu sein, drückte man ihm erst auf, als der Sechszylinder des großen Bruders immer mehr an Leistung zulegte. Mit dem VW-Klang im Kleid der Ikone 911 fremdelt man hier nur kurz. Klar, der Vierzylinder wirkt untenrum nicht übertrieben feurig, aber ab 4000 U/min kommt Leben in die Bude. Die tiefere Sitzposition und die zielgenauere Lenkung verzahnen den Fahrer intensiver mit der Straße als im 356. Und selbst der Elfer wackelt plötzlich auf dem Denkmalsockel. In schnellen Kurven drückt das Heck weniger nach außen, das Handling ist berechenbarer!
Mercedes 280 SL (W 113) vs. 280 SL (R 107)
Die anmutige Linie der Pagode mit Rundungen an den richtigen Stellen und üppigem, aber stilsicher verteiltem Chromschmuck verzichtet auf viriles Muskelspiel. Pagode-Fahren macht Spaß. Richtungsänderungen werden zielgenau umgesetzt. Mit milder Seitenneigung sticht der aus der Fahrerperspektive kraftvoll aufschwellende Bug in Kurven. Auf der Geraden steigt die Chromnase gen Himmel, der Sechszylinder hebt die Stimme, und der SL pflügt durch die Sommerluft wie ein Sportboot durch die Wellen. Die Ära, als die noblen Mercedes-Wagen noch zu einem hohen Grad Manufakturautomobile waren, gibt hier ihre große Abschiedsgala. Das Thema Qualitätsanmutung treibt der Nachfolger R 107 auf die Spitze, weniger allerdings in Form filigraner Details als durch schiere Massivität. War die Pagode ein Tempel, ist der R 107 eine Burg. Dennoch wirkt sein Wesen sanft. Der Umgang mit dem Wagen ist mühelos, aber von gediegener Schwere. Er liebt, anders als die Pagode, eher die großen Radien als die engen Kurven. Leider geht seine schwermetallene Attitüde so weit, dass sich das Ganze manchmal anfühlt wie Taxifahren ohne Dach. Für einen Roadster im ursprünglichen Wortsinn ist schon die Pagode zu luxuriös. Mit dem R 107 reift der SL endgültig zum Genießer-Cabrio.
VW Golf I GTI vs. Golf II GTI
Beide Golf GTI starten in diesem Test mit nahezu identischem 1,8-Liter-Motor mit 112 PS und 150 Newtonmeter Drehmoment. Während der Einser schon im Leerlauf dröhnt und in der ganzen Karosserie fein vibriert, zeigt der Zweier käferhafte Solidität. All die Anfängerfehler, die VW in den qualitätsvergessenen 70ern bei der Umstellung auf Frontmotor, Frontantrieb und vor allem die selbsttragende Karosserie macht, werden beim Zweier ausgebessert. Beim Fahren sind die Auswirkungen ambivalent. Man merkt auf den ersten Metern, dass jedes PS beim Einser nur 7,2 Kilo bewegen muss und beim Zweier einess mehr (beim Fünftürer sogar 8,4 kg). Das relativiert sich aber mit steigendem Tempo, wenn das Gewicht unwichtiger und der Luftwiderstand wichtiger wird. Dass der Einser 17 Zentimeter kürzer und 5,5 Zentimeter schmaler ist, ist auf engeren Landstraßen erst mal ein Vorteil. Bei der ersten Bodenwelle wird es aber mit dem 7,5 Zentimeter kürzeren Radstand, dem 90 Kilo geringeren Gewicht und im Detail weniger ausgefeilter Fahrwerkstechnik zum Nachteil: Der Fahrkomfort ist eine ganze Klasse schlechter.
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