Mit seinen Sportwagen und Erfolgen im Motorsport hat sich Lotus einen exzellenten Ruf erworben. Wenn es um Leichtbau und Fahrdynamik geht, macht den Briten kaum einer etwas vor. Nicht umsonst greifen andere Autohersteller bis heute immer wieder gern auf die Kernkompetenzen der Experten aus Hethel zurück. Manchmal ganz offen, sodass deren Sportmodelle Lotus sogar im Namen tragen. Manchmal finden die Optimierungen aber auch im Verborgenen statt. Ein Überblick über die Lotus-Fremdentwicklungen.
Lotus Cortina
In den frühen Sechzigerjahren wies Lotus bereits einige Erfolge in der Formel 1 auf. So wurde Ford auf die kleine Firma aufmerksam und beauftragte Colin Chapmans Leute damit, aus der braven Mittelklasse-Limousine Cortina einen ernstzunehmenden Rennwagen zu machen. Das gelang: Lotus senkte das Gewicht, indem viele Bauteile durch Aluminium-Pendants ersetzt wurden, und optimierte das Fahrwerk. Die Hinterachse zeigte sich beispielsweise komplett neu konstruiert. Um den 1,6-Liter-Vierzylinder kümmerte sich Cosworth – zum Beispiel, indem ihm zwei Weber-Doppelvergaser verpasst wurden. Mit seinen offiziell 105 PS lehrte der Lotus Cortina deutlich stärkeren Tourenwagen das Fürchten und gewann 1964 und 1965 die Britische Tourenwagen-Meisterschaft. Ins Steuer griffen unter anderem die zweimaligen Formel 1-Weltmeister Jim Clark und Graham Hill.
Talbot Sunbeam Lotus
Fast noch verrückter war der Kampfwürfel, den Lotus Ende der Siebzigerjahre für Chrysler konstruierte und nach der Übernahme des europäischen Marken-Ablegers durch den PSA-Konzern für Talbot baute. Auf Basis eines unscheinbaren Kompaktwagens sollte ein Rallyeauto entstehen, mit dem sich Herren wie Walter Röhrl oder Hannu Mikkola besiegen lassen. Wobei unscheinbar noch untertrieben ist: Die Basisversion mit 928-Kubik-Vierzylinder leistete gerade einmal 42 PS und fuhr maximal 125 km/h schnell. Lotus pflanzte den 2,2 Liter großen Vierzylinder mit Doppelvergaser aus dem Esprit und ein Fünfgang-Getriebe von ZF in die mit Bilstein-Fahrwerk vorgerüstete Sunbeam-Karosserie. Der 960 Kilogramm leichte, hinterradgetriebene Talbot leistete plötzlich 150 PS. Das reichte, um mit den Fahrern Guy Frequelin, Henri Toivonen und Stig Blomqvist 1981 den Marken-Titel in der Rallye-WM zu gewinnen. Direkt danach kam jedoch das Aus: Nicht nur für das Rallye-Engagement, auch für den Serien-Sunbeam war Schluss. Er wurde durch den braven Talbot Samba ersetzt.
DeLorean DMC-12
Das Coupé mit Edelstahl-Beplankung mag dank der „Zurück in die Zukunft"-Reihe zur Legende geworden sein. In Wahrheit war es eine Totgeburt. Schon bei der Entwicklung ging Vieles schief: Angefangen beim Mechanismus der ikonischen Flügeltüren bis hin zum schwerwiegenden Problem, dass der Motor nicht ins ursprünglich vorgesehene Chassis passte. Lotus musste das Projekt retten; es heißt, zeitweise hätten 200 von Colin Chapman bezahlte Mitarbeiter daran gearbeitet. Die Briten spendierten schließlich einen adaptierten Esprit-Rahmen, um den ebenso schweren wie müden Europa-V6 und das damit eher mäßig harmonierende Renault-Fünfgang-Getriebe zu integrieren. Weil Lotus für seine Nachbesserungen nur zwei Jahre Zeit hatte, gelang es der Firma nicht, auch noch andere Schwächen und Kinderkrankheiten auszumerzen. Genau deren massenhaften Beanstandungen brachen DeLorean schließlich das Genick.
Toyota MR2
Bis heute besteht eine enge Verbindung zwischen Lotus und Toyota: Die Japaner liefern seit vielen Jahren die Motoren für die Elise. Den umgekehrten Weg nahm die Zusammenarbeit in den frühen Achtzigerjahren. Lotus war in die Entwicklung jener Motoren involviert, die Toyota später für den MR2 verwendete. Auch bei der Abstimmung des Fahrwerks half wohl die Sachkompetenz der Leute aus Hethel weiter. Es gibt sogar das Gerücht, dass die erste MR2-Generation nach Vorbild eines Lotus-Prototypen entwickelt wurde. Allerdings ist der Einfluss der Briten auf Toyotas Roadster-Klassiker deutlich kleiner als bei früheren und späteren Projekten.
Opel Lotus Omega
Irgendetwas ist anders an diesem Opel Omega. Zum Beispiel die Radläufe, die nicht nur die hinteren Räder (mit 265er Gummis!) komplett umschließen, statt sie optisch abzuschneiden wie beim Standard-Modell. Sie sind auch deutlich breiter sind als sonst. Gleiches gilt für Schürzen sowie Schweller und erst recht für den üppig bemessenen Heckflügel. Innen trägt der Omega Connolly-Leder auf Sitzen und Armaturenbrett, verfügt über einen Tacho mit 300er-Skalierung, und der Schaltknauf weist auf sechs Vorwärtsgänge hin. Kann das wirklich sein? Ja, kann es! Das wird spätestens beim Blick unter die Motorhaube klar. Hier schlägt zwar ein Reihensechszylinder-Herz aus dem Opel-Regal, das aber von Lotus von 3,0 auf 3,6 Liter Hubraum aufgebohrt und um zwei Garrett-Turbolader ergänzt wurde. Dessen 377 PS genügten dem maximal 283 km/h schnellen Lotus Omega, um sich mit so illustren Viertürern wie dem BMW-Alpina B10 um den Titel „schnellste Serien-Limousine der Welt" zu kabbeln. Ähnlich exklusiv ist er allemal: Es wurden lediglich 907 Exemplare des 125.000 Mark teuren Mittelklässlers gebaut.
Corvette C4 ZR-1
Wie beim Omega überrascht das Lotus-Makeover der Corvette C4 nur auf den ersten Blick: Lotus gehörte von 1986 bis 1993 – genau wie Opel und Chevrolet – zu General Motors. Da war es naheliegend, dass GM so manchen besonders sportlichen Ableger seiner Limousinen und Sportwagen in England perfektionieren ließ. Doch bei der ab 1990 verkauften ZR-1-Variante der vierten Corvette-Generation kümmerte sich Lotus nicht etwa um Chassis, Fahrwerk oder Leichtbau, sondern um den Motor. GM wollte im Corvette-Topmodell ein echtes Hochleistungs-Triebwerk haben, weshalb der zahme Zweiventiler L98 nicht in Frage kam. Stattdessen entwickelte Lotus den LT5-V8 mit 5,7 Litern Hubraum und Vierventil-Layout. Ergebnis war eine in der Corvette zuvor nicht gekannte Drehfreude und ein Klang, der in hohen Drehzahlregionen vom bekannten Bollern in ein aufregendes Brüllen wechselte. Trotzdem gilt der LT5 als robust und langlebig – Attribute, die nicht auf jede Lotus-Entwicklung zutreffen.
Opel Speedster aka Vauxhall VX220
1999 war die Ehe zwischen Lotus und General Motors längst geschieden. Dennoch überraschte Opel damals mit einem Auto auf Lotus-Basis und stellte den Speedster vor. Über das Elise-Chassis spannte sich eine an die Opel-Design-Sprache angepasste GFK-Karosserie. Im Gegensatz zur britischen Schwester verfügte der Speedster aber über Airbag und ABS. Und über einen eigenen Antriebsstrang: Sowohl der 2,2-Liter-Saugmotor mit 147 PS als auch der Zweiliter-Turbobenziner mit 200 PS kamen sonst in braven Opel-Modellen zum Einsatz. Das rechtsgelenkte Vauxhall-Pendant VXR 220 Turbo leistete sogar bis zu 220 PS. Die Fertigung der beiden Roadster übernahm ab 2000 ebenfalls Lotus, was nicht gerade zu einer Qualitätsverbesserung führte. Dieser Aspekt und die Tatsache, dass ein reines Spaßgerät wie der Speedster ein Fremdkörper im Opel-Portfolio war, ließen die Produktion 2005 nach nicht einmal 8.000 gebauten Autos enden.
Nissan GT-R R35
Auch bei der aktuellen Godzilla-Auflage hatte Lotus seine Finger im Spiel. Einerseits stellten die Briten ihren Windkanal zur Verfügung, damit sie zusammen mit den Nissan-Aerodynamikern die Windschlüpfigkeit des GT-R optimieren konnten. Zudem half Lotus beim Feintuning des Fahrwerks. Auch beim GT-R-Motor gab es Hilfe aus England. Und zwar von den Spezialisten aus dem Hause Cosworth.
Tesla Roadster
Hätte Tesla dieselbe Erfolgsstory geschrieben, wenn es Lotus nicht gegeben hätte? Wahrscheinlich wäre für die Kalifornier einiges anders gelaufen, wenn sie für ihr Erstlingswerk nicht den Leichtbau-Aluminium-Chassis der Lotus Elise – wenn auch in einer angepassten Variante mit neuem hinteren Hilfsrahmen – verwendet hätten. Auch einige andere Bauteile, darunter fast der komplette Innenraum, hat der Roadster mit seinem britischen Zwilling gemeinsam. Im Lotus-Werk wurde der Elektro-Sportler auch endmontiert. Wobei Tesla die Bedeutung von Lotus im Entwicklungsprozess des Roadsters von Beginn an herunterspielte. Nur sieben Prozent des Teslas stammten mit der Elise überein, behauptete die Firma, die damals noch ein Startup war, schon 2008. Inzwischen bezeichnet es Tesla-Chef Elon Musk als „sehr dumme Strategie", dass man sich damals für eine Adaption der Lotus Elise entschied.
Melkus RS 2000
Welch famoses Sportwagen-Chassis Lotus da im Angebot hatte, zeigte sich 2009 ein weiteres Mal. Die Familie Melkus, die seinerzeit eine Neuauflage ihres legendären DDR-Sportwagens RS 1000 vorantrieb, wählte ebenfalls die Elise als technische Basis. Die Modellvariante 111R stellte ihren Unterbau und ihren von Toyota entliehenen 1,8-Liter-Vierzylinder zur Verfügung. Allerdings aufgeladen per Kompressor, weshalb im Melkus ein 270 PS starkes Triebwerk auf ein 950 Kilogramm leichtes Auto traf. Allerdings kombinierten die Sachsen das Chassis mit einem Öhlins-Fahrwerk, anderen Spur- und Sturzwerten sowie einer Coupé-Karosserie, die ebenso wie das DDR-Vorbild über Flügeltüren verfügte. Dessen Legenden-Status blieb der Reinkarnation allerdings verwehrt, was auch am mangelnden Erfolg liegt: Schon 2012 ging Melkus als Autohersteller pleite. Während der dreijährigen Existenz sollen nur 18 Autos entstanden sein.
Hennessey Venom GT
Selbst brutale Hypercars ließen sich aus einer Lotus-Basis heraus entwickeln. Ursprünglich brachte Leistungs- und Speed-Junkie John Hennessey seinen doppelt turbogeladenen Siebenliter-V8 in einer Dodge Viper zum Einsatz. Doch die Kombination zeigte allerlei Schwächen. „Eines Tages scherzte ich darüber, den Motor hinten in einen Lotus Exige einzubauen", sagte Hennessey später. Aus Spaß wurde Ernst, als es erste Skizzen und Computer-Simulationen gab. Am Ende zogen es die Texaner tatsächlich durch und bauten einen 1.261 PS und maximal 1.566 Newtonmeter starken Mittelmotor-Sportler, der sämtliche Beschleunigungs- und Topspeed-Rekorde brach. Mit dem Nachfolger Venom F5 will Hennessey demnächst sogar die 300 mph-Marke (knapp 483 km/h) angreifen.
Weitere Autos, an deren Entwicklung Lotus beteiligt war
Damit ist die Liste an Autos, bei deren Entwicklung Lotus Beihilfe leistete, noch lange nicht erschöpft. Dem Jensen Healey beispielsweise spendierte Lotus in den Siebzigerjahren den Motor. Ähnlich wie Tesla kombinierte der Chrysler-Konzern 2009 ein Lotus-Chassis mit einem elektrischen Antriebsstrang. Der Dodge EV baute allerdings auf dem Europa S auf und kam nicht über das Stadium einer Konzeptstudie hinaus. Schon zuvor kooperierte die US-Marke mit Lotus: Der turbogeladene und 227 PS starke 2,2-Liter-Vierventil-Motor der Sport-Limousine Spirit R/T kam aus England.
Isuzu verwendete für die Topmodelle des Piazza/Impulse von Lotus getunte Motoren und Fahrwerke. Auch jenes des robusten Geländewagens Mahindra Scorpio trägt Lotus-Gene in sich. 2008 tauchte die lange verschwundene Marke Detroit Electric wieder auf, die eine E-Auto-Ableitung des Lotus Exige auf den Markt bringen wollte. Doch bevor der SP:01 tatsächlich in Serie produziert wurde, war das Projekt schon wieder tot.
Manchmal war der Beitrag größer, manchmal kleiner. Aber fest steht: Ohne die Lotus-Entwicklungen für andere Marken wäre die Autowelt um einige Ikonen ärmer. Bleibt zu hoffen, dass die Engländer auch künftig noch andere Hersteller über ihre Grenzen treiben werden.
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