Das 100-Euro-Auto

4 years, 4 months ago - 19 June 2020, auto motor sport
Das 100-Euro-Auto
Wetten, dass niemand diesen Youngtimer auf dem Zettel hat? Alf Cremers kauft für 100 Euro einen Rover 45 mit zwei Monaten Rest-TÜV. Rost? Kaum? Beulen, Kratzer, Gammel? Fehlanzeige.

Was bekommt man für 100 Euro? Zwei Billigreifen mit Montage, einen Ölwechsel für einen Sechszylinder, einen Satz gebrauchte Stahlfelgen oder ein Becker-Radio für einen Mercedes W124. Aber ein ganzes Auto? Auch das gibt es, etwa einen roten Ford Fiesta von 1989, ausgeblichen und mit klapperndem Kent-Motor, sichtlich vom Rost gezeichnet, verbeult und ohne Radkappen, bunte Billig-Schonbezüge übertünchen einen verwohnten Innenraum: "100 Euro Festpreis, Bremsen auch fest, bitte mit Hänger abholen."

Ein Auto mit TÜV für 100 Euro

Aber ein komplettes, fahrbereites Auto von einer Premium-Marke mit glänzendem Lack, Leichtmetallrädern ohne sichtbaren Rost auf den vielen Fotos im Internet und mit zwei Monaten Rest-TÜV für 100 Euro? Ein superbes Blaupunkt Coburg CD-Radio prangt in der Mittelkonsole, kein trostlos gähnender Schacht will, wie so oft, erst gefüllt werden. Also, kurz anrufen, ob er noch da ist, und dann alles stehen und liegen lassen, für diesen einsamen Superlativ. Wenn dieser Rover 45, Modell Charme in Platinum Silver mit 148.713 km auf dem Tacho und vier Vorbesitzern, so fährt, wie er aussieht, wird dies mein günstigster unvernünftiger Kauf, seit ich diese Narretei begehe.

Rover 45: Civic-Derivat mit Stummelheck

Auf der Fahrt in meinem braven Alltags-Mercedes 300E Richtung Bodensee nach Tettnang versuche ich eine Erklärung zu finden, warum der schöne Wagen mit dem ausdrucksvollen Rover-75-Gesicht quasi verschenkt werden soll: Okay, Rover, traditionsreiche, aber untergegangene Marke seit 2005, das Modell 45 zwar ganz hübsch, wie ich finde, aber ein Honda-Civic-Derivat mit leicht spießiger Stummelheck-Note und von eher limitierter Strahlkraft. Genau genommen basiert der 45 auf dem Honda Domani, so heißt der Civic mit Rucksack in Japan. TÜV hat der Dumping-Rover nur noch zwei Monate, da droht vielleicht arges Ungemach. Leider sehen viel zu wenige im Rover 45 den entzückenden, erhaltenswerten Youngtimer. Für die meisten wäre er wohl ein Risikokauf mit eingebautem Ersatzteilnotstand. Obwohl die Versorgung über XPart Caterpillar Logistics gesichert ist und große Mengen von Gebrauchtteilen im Internet kursieren, gibt es sicher viele Vorbehalte.

Mich kümmern sie nicht, ich will ihn haben, Tettnang wird in Kürze erreicht. Der Rover 45 ist nicht gerade das Gesicht in der Menge, aber mein Scannerblick zoomt ihn mir schon beim Vorbeifahren aus dem Gebrauchtwagenrudel am Zaun vom Autohandel Mattar. Der Inhaber, ein junger, sehr freundlicher Mann so um die dreißig, beschwört geradezu die unbedingte Fahrtauglichkeit des Rover:"Lenkung, Bremsen, Motor, alles einwandfrei, da ist nirgendwo ein Problem! Sie können ohne Sorgen bis nach Stuttgart fahren." Dabei freut er sich über meine aufrichtige Begeisterung für den schmucken kompakten Wagen.

Sie schaukelt sich beim Probe sitzen und Betrachten des tadellosen Innenraums mit dem extrafeinen Rover-Ambiente hoch und hält auch noch nach einer prüfenden Umrundung des charmanten 45 mit dem treuen Augenaufschlag an. Auf den ersten Blick nirgendwo Rost, aber auch an gar keiner Karosseriekante, an keinem Scheibengummi, selbst die vier Radläufe sind ohne Befund. Als Mängel registriere ich lediglich unterschiedliche Räder vorne und hinten, deren Pendants als zweiter, gemischter Satz Alus im Kofferraum liegen, ein paar Kratzer im Lack, einen harmlosen Riss im hinteren Stoßfänger und eine herabhängende Schwellerzierleiste auf der rechten Seite. Sie gibt ein bräunlich-silbern schillerndes Rostbiotop frei. Auch im hinteren rechten Radhaus nistet die braune Pest um einen dieser Gummistöpsel, da ist etwas aufgequollen. Während ich die Motorhaube aufstemme, sehr wohlwollend den breiten Zylinderkopf des rassigen Rover-K16-Triebwerks "16 Valve-Twin Cam" registriere und die Flüssigkeitsstände checke, ruft der bekennende BMW-Fan und Z4-Fahrer Mattar nach seinem Mechaniker. Er weist ihn an, die Zierleiste provisorisch festzuschrauben und intakte Kennzeichenhalter anzubringen.

Letzter Ölwechsel bei 126.713 km

Der Ölstand stimmt, der letzte Ölwechsel war, so bescheinigt es der Liqui-Moly-Zettel, bei 126.713 km, einen neuen Zahnriemen gab es laut Aufkleber 2014 bei 95.056 km. Mein Hauptaugenmerk gilt jedoch dem Ausgleichsbehälter. Wie ist die Farbe des Kühlmittels? Das frische Blassrosa ist unverdächtig, wie ist der Stand bei kaltem Motor? Zwei Zentimeter unter Maximum, das ist verdächtig, aber nicht beängstigend. Schließlich weiß ich um die Befindlichkeiten des Rover-K-Series-Motors. Die Zylinderkopfdichtung ist ein Schwachpunkt des Triebwerks, meist wurde sie bei meinem Kilometerstand schon gewechselt, aber es gibt keinen Nachweis, weil die elegante braune Rover-Servicemappe mit Wartungsheft und Betriebsanleitung leider nicht mit an Bord ist. Für 100 Euro kann man nicht alles bekommen, immerhin hat der 45 Charme Klimaanlage, vier elektrische Fensterheber und ein gescheites Radio. Der Motor springt sofort an und läuft ohne Hydrostößelklappern mit normaler Drehzahl, Gasstöße werden ohne Ruckeln umgesetzt. Irgendwie scheint sich der Wagen zu freuen, dass er wieder Autobahnasphalt unter die Räder bekommt, statt zum Verwerter zu rollen.

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