Jaguar E-Type: Traumwagen, Diva, Herzensbrecher

2 years, 7 months ago - 17 May 2022, Krone Zeitung
Jaguar E-Type: Traumwagen, Diva, Herzensbrecher
Es gibt ein paar Dinge, die so ziemlich jeder Auto-Enthusiast auf seiner Bucket-List stehen hat. Bei mir stand da der Jaguar E-Type.

Vielleicht hätte ich mich auf „besitzen“ festlegen sollen, aber „fahren“ ist es immerhin geworden. In einem knallroten Cabrio, mit Reihensechszylinder unter der mächtigen Haube und dem einen oder anderen Hoppala. Das gehört dazu.

Unter der Haube“ ist dabei untertrieben, denn wenn man die Drehhebel in der A-Säule gelöst hat, öffnet sich nicht nur ein Deckel, sondern es klappt praktisch der gesamte Vorderwagen nach oben. Es genügt kein Hebelzug im Fußraum, nein, es sind tatsächlich zwei Hebel, die man lösen muss, einer links, einer rechts. Und das ist schon die modernere Variante, ursprünglich musste man Schrauben lösen. Mit Werkzeug.

Jedenfalls wird ein sechszylindriges Kunstwerk enthüllt, das in der Mitte thront, freistehend statt in einen Motorraum eingepfercht. 3781 ccm misst der Hubraum, die Leistung wird mit 269 PS angegeben. Eigentlich schade, dass man dieses Monument während der Fahrt nicht bewundern kann. Zumindest optisch, aber akustisch geht natürlich, und das ist auch nicht zu verachten.

Also Haube wieder zu, ganz sachte, hier wird nichts zugeworfen. Dann die Haken wieder herumgedreht. Das Dach ist bereits offen, das erleichtert das Einsteigen. Und man hat die ganze Zeit den Blick auf den herrlichen Innenraum. Die vielen Smiths-Rundinstrumente. Die Alublenden. Das hellbraune Leder. Den blanken metallenen Schalthebel. Das Moto-Lita-Holzlenkrad, wunderbar abgegriffen. Was haben die Fahrer, deren Hände es gegerbt haben, hier wohl für schöne Stunden erlebt? Wie oft waren diese Hände schwarz verschmiert, weil wieder irgendwas nicht funktioniert hat?

Den Zündschlüssel gedreht - er steckt mitten im Armaturenbrett -, den Starterknopf gedrückt, das Biest beginnt zu grollen. Irgendwie wütend, mit hoher Drehzahl. Der Betreuer von Jaguar Deutschland bestand darauf, dass der Choke ganz herausgezogen bleibt, bis das Lamperl ausgeht. Ich komme dem Wunsch nach, habe ja Respekt vor dem alten Herrn. Also vor dem Jag, Baujahr 1961. Deshalb klingt es ein wenig unwürdig, als ich vom Hof der Villa Raab in Hessen rolle. So gar nicht entspannt.

Erst recht auf der Fahrt durch die Ortschaft, immer wieder muss ich auskuppeln, damit ich nicht mit Standgas das Tempolimit überschreite. Dass das alles unnötig ist, zeigt sich, als ich einige Zeit später auf das Lamperl pfeife und den Choke wegnehme. Es stellt sich heraus, dass Lamperl nicht anzeigt, dass der Motor kalt ist, sondern dass der Choke gezogen ist. Nachricht an mich selbst: Das nächste Mal hörst du auf dein Gefühl statt auf den Fachmann.

Jetzt fängt der Spaß im E-Type erst richtig an. Ich kann den Klang des Motors bei adäquater Drehzahl genießen, er zieht schön durch, die Lenkung ist zwar nicht sonderlich direkt, aber vorhanden und bei jeder Bewegung dreht man gefühlt ein Stück Automobilgeschichte mit. Wahrscheinlich liegt es an ihr, dass sich das Auto schwerer anfühlt als die 1285

Kilogramm, die es hat. Das Getriebe ist ein Genuss. Wie bitte? Wie kann das sein? Ganz einfach: Es ist nicht das originale Vierganggetriebe von Moss. Jaguar hat es durch ein Fünfganggetriebe ersetzt, das blitzsauber und akkurat zu schalten ist.

Im Grunde ist das Getriebe wohl das Bauteil, das den E-Type so normal zu fahren macht. Die einzige Schrulle, an die man sich gewöhnen muss, ist der Blinkerhebel rechts vom Lenkrad.

Die Bremsen sind original, also immerhin vorhanden, wenn man sich bemüht. Die Bedienung der Pedale ist allerdings mit Schuhgröße 46 nicht ganz einfach, weil es sich hier um ein Flat-Floor-Modell handelt, also um die erste Serie, die noch nicht die Vertiefung vor den Pedalen hat, die für Platz im Fußraum sorgt. Sie gilt dennoch als die begehrteste Baureihe.

Mein roter Roadster stammt aus dem Sommer 1961 und war eines der ersten 56 Exemplare, die in Deutschland ausgeliefert wurden. Später wurde es in die USA exportiert, dem wichtigsten Markt für den Briten. 1987 holte ihn Jaguar Deutschland zurück, ließ ihn von XK-Engineering in Warwickshire zerlegen und restaurieren.

60 ist das neue 40, und so stampft der alte E-Type munter vorwärts. Den Sturm des Fahrwindes im Haar brause ich über die Landstraße, so soll sich ein Roadster anfühlen. Er ist rau, er ist schnell, und er lebt! Bis ich ihn abstelle, um ein paar Fotos zu schießen. Dann ist er tot. Springt nicht mehr an. Nichts rührt sich. Nein, die Batterie ist nicht leer. Anruf beim Jaguarmann (dem mit der Choke-Information). Eine halbe Stunde später kommt ein Defender mit einem echten Spezialisten, doch der wird dann gar nicht gebraucht: Der E-Type ist mittlerweile wieder angesprungen. Der Anlasser ist einfach hitzeempfindlich und stellt einfach den Dienst ein, wenn ihm zu warm wird.

Also weiter. In Kurven vermisse ich einen Sicherheitsgurt, der für etwas Seitenhalt sorgen könnte. Immerhin ist das ja ein sportliches Auto der alten Schule, hervorgegangen aus dem Rennwagen Jaguar D-Type. Das Höchsttempo wird mit 240 km/h angegeben, der Sprintwert mit 6,5 Sekunden. Das schafft heute jeder bessere Diesel, während der Fahrer am Handy spielt, aber vor 60 Jahren war das phänomenal und auch noch eine Herausforderung. Das ist es im alten Jag auch heute noch, du spürst jeden Meter, jede Bewegung, jeden Tritt aufs Gas. Meistens auch den auf die Bremse, wenn er fest genug ist.

Die Sonne brennt mir auf den lichten Hinterkopf, der Himmel ist nur leicht bewölkt. Regen? Den scheint mein roter Freund zu vermuten, denn der Scheibenwischer aktiviert sich unversehens. Kurz bevor die Gummis reibungsbedingt anschmelzen und schwarze Striche auf der Windschutzscheibe hinterlassen, hört er wieder auf.

Früher hat man gesagt, von einem Jaguar braucht man immer zwei: einen zum Fahren, einen für die Werkstatt. Der Spruch scheint nicht nur üble Nachrede zu sein, wenn man sich bei Auskennern umhört. Problemchen wie die genannten gehören dem Fachmann zufolge zum Alltag eines E-Type-Besitzers. Die Qualität war demnach niemals adäquat, vor allem die Amis haben ihn trotzdem geliebt.

Und doch ist es ein unvergessliches Erlebnis, einen Jaguar E-Type zu bewegen. Es muss gar nicht der Zwölfzylinder sein, der 1971 eingeführt wurde (fragen Sie nie nach dem V8, den gab es nie). Aber mit meiner Bucketlist bin ich zufrieden: Fahren statt besitzen ist okay. Check!

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