Stufenlos entfesselt geht es im fliegenden Holländer zu: Der rasende Vollautomat DAF 55 ist kaum zu bremsen, wenn es in die Sportstunde geht! Dabei brachte dessen stufenlose Variomatic dem von Michelotti entworfenen Kleinwagen den Ruf als Fahrzeug für Unbedarfte ein, die mit einem Kupplungspedal auf Kriegsfuß standen. DAF-Fahrzeuge gerieten imagemäßig in die Nähe eines AOK-Choppers. Dabei ist die Variomatic vor allem eines: einfach! Sowohl technisch als auch bei der Anwendung. Kurz zur Funktion: Die Kraft des von Renault zugelieferten 1100er- Motors wird über eine Fliehkraftkupplung mittels einer Welle auf die Primär-Variomatic gelenkt, von dort übertragen zwei Riemen die Drehkräfte auf die Sekundär- Variomatic, welche direkt die Hinterräder antreibt.
Zum Fahren schiebt man den "pientere pookje", den Wählhebel, einfach in die Richtung, in die sich die Fuhre bewegen soll. Das macht sie dann auch in beide Richtungen mit bis zu 138 km/h. Motorsportlich kamen DAF-Modelle deswegen bei sinnlosen, jedoch damals in den Niederlanden populären Rückwärtsrennen zum Einsatz, bei denen zahllose Exemplare auf Schrottplätzen landeten. Auch bei seriösen Rundkurs- und Rallyewettbewerben in den Niederlanden zeigte der agile DAF größeren Autos gern seine filigran gezeichneten Rückleuchten.
DAF-Neulingen dringen zwei akustische Besonderheiten ins Ohr. Erstens: Die Geräuschkulisse verharrt bei jedem Gasgeben in einer monotonen Dröhnfrequenz von mindestens 3000/min. Bekannt von modernen 50-ccm-Motorrollern, ungewohnt bei einem Auto. Zweitens: Wegen des fehlenden Hinterachsdifferenzials müssen die Variomatic-Riemen den Drehzahlunterschied der Hinterräder beim Rangieren mit Lenkeinschlag ausgleichen. In kaltem Zustand ergibt sich ein Klangbild, das zwischen startender Cessna und SAT.1-Glücksrad liegt.
Also lieber so einparken, dass man geradeaus wieder starten kann. Einmal in Schwung, erlebt man einen wahren Höhenflug: Der DAF ist deutlich agiler als seine Konkurrenten. Die Lenkung ist sehr direkt, die Gewichtsverteilung wegen des hinten verbauten Getriebes (Transaxle) perfekt. Der DAF stürmt durch den Slalom, als wäre er genau dafür erfunden worden. Dabei klebt er auf der Straße, lässt sich kaum zum Ausbrechen mit dem Heck provozieren. Der kleine Holländer verträgt erstaunlich hohe Kurvengeschwindigkeiten. Komfort ist allerdings nicht seine Stärke: sein Fahrwerk ist straff, die Sitzposition hinter der etwas zu hoch stehenden Lenksäule nicht optimal.
Plus/Minus
Bei keinem Auto dieses Vergleichs klaffen dessen Ruf und die tatsächlichen Fahreigenschaften so weit auseinander wie beim DAF. Das stets obligatorische stufenlose CVT-Getriebe ("Variomatic") brachte dem kleinen Niederländer den Ruf als spaßbefreites Hausfrauenauto ein. Jedoch ist der DAF fahrtechnisch das Gegenteil: Eine optimale Gewichtsverteilung, ein exakt ausbalanciertes Fahrwerk und eine direkt ansprechende Lenkung machen den 55er so fahrsicher und agil wie keinen der hier getesteten Konkurrenten. Fahrspaß ist garantiert, daran ändert auch das stufenlose Getriebe nichts.
Zur Variomatic: Es gibt "weiche" und "harte" Riemen. Der Weiche ermöglicht bei Lenkeinschlag geräuscharmes Rangieren in kaltem Zustand, weil er den Drehzahlunterschied zwischen den Rädern der differenziallosen Hinterachse gut ausgleicht. Nachteil: Er hält nicht länger als 5000 Kilometer. Der harte Riemen erzeugt beim Rangieren und bei eingeschlagener Lenkung in kaltem Zustand derart laute Geräusche, dass DAF-Neulinge schnell von einem kapitalen Schaden an der Hinterachse ausgehen. Dem ist jedoch nicht so: Der "harte" Riemen muss sich erst durch Geradeausfahrt erwärmen, um den Drehzahlunterschied beim Rangieren ausgleichen zu können. Dafür hält der "Harte" mindestens 40.000 Kilometer. Zum Wechsel der Fliehkraftelemente und der Kupplung müssen Motor samt Kupplungsglocke ausgebaut werden, dazu ist spezielles Werkzeug nötig. Die Kupplung ist verschlissen, wenn man zum Anfahren stets Vollgas geben muss. Die zuverlässigen Renault-Motoren sind von legendärer Haltbarkeit. Karosserieseitig zählen die verschweißten Kotflügel vorn, die Schweller, die hinteren Radläufe, die Endspitzen und die Bodenbleche zu den hauptsächlichen Problemzonen. Glück im Unglück: Reparaturbleche und Anbauteile sind über den DAF Club Nederland problemlos erhältlich.
Marktlage
Von 164.000 hergestellten DAF 55 waren nur rund 11.000 Coupés. Davon sind Exemplare mit rahmenlosen Seitenfenstern vorn besonders selten: Denn jene gab es ausschließlich im ersten Produktionsjahr 1969. Die größte Liebhaberszene findet man in den Niederlanden. Daher ist dort die Chance, ein gutes Auto zu ergattern, am größten. Das Preisniveau ist immer noch niedrig: Coupés in gutem Zustand werden ab 5000 Euro gehandelt. Auch nahezu perfekt wie original erhaltene Top-Exemplare kosten selten mehr als 10.000 Euro.
Ersatzteile
Der kleine DAF hat eine sehr engagierte Fangemeinde, vor allem in seiner Heimat, den Niederlanden. Für sämtliche Verschleißteile, aber auch für bei anderen Marken oft schwierige Positionen wie Zier- oder Interieurteile gibt es meist erstaunlich günstig Ersatzteile. Ansprechpartner wie der DAF Club Nederland oder Vereine wie dafhobby.com bieten originale Lagerware, Gebrauchtteile und Nachfertigungen. Preisbeispiele von dafhobby.com: Seitenschweller links oder rechts je 64 Euro; kevlarverstärkte "harte" Antriebsriemen Variomatic 316 Euro; Endschalldämpfer 85 Euro.