Schöne Rücken, die Entzücken: DAF 55 Coupé

1 month, 4 weeks ago - 8 July 2024, AutoBild
Schöne Rücken, die Entzücken: DAF 55 Coupé
Detailverliebtes Design und flotte Fahreigenschaften zum günstigen Preis? Diese Coupés haben das Zeug dazu, so wie das DAF 55 Coupé.

Stufenlos entfesselt geht es im fliegenden Holländer zu: Der rasende Vollautomat DAF 55 ist kaum zu bremsen, wenn es in die Sportstunde geht! Dabei brach­te dessen stufenlose Variomatic dem von Michelotti entworfenen Kleinwagen den Ruf als Fahrzeug für Unbedarfte ein, die mit einem Kupplungspedal auf Kriegsfuß standen. DAF-Fahrzeuge gerieten imagemäßig in die Nähe eines AOK-Choppers. Dabei ist die Variomatic vor al­lem eines: einfach! Sowohl tech­nisch als auch bei der Anwendung. Kurz zur Funktion: Die Kraft des von Renault zugelieferten 1100er- Motors wird über eine Fliehkraft­kupplung mittels einer Welle auf die Primär-Variomatic gelenkt, von dort übertragen zwei Riemen die Drehkräfte auf die Sekundär- Variomatic, welche direkt die Hin­terräder antreibt.

Zum Fahren schiebt man den "pientere pookje", den Wählhebel, einfach in die Richtung, in die sich die Fuhre bewegen soll. Das macht sie dann auch in beide Richtungen mit bis zu 138 km/h. Motorsport­lich kamen DAF-Modelle deswe­gen bei sinnlosen, jedoch damals in den Niederlanden populären Rückwärtsrennen zum Einsatz, bei denen zahllose Exemplare auf Schrottplätzen landeten. Auch bei seriösen Rundkurs- und Rallye­wettbewerben in den Niederlan­den zeigte der agile DAF größeren Autos gern seine filigran gezeich­neten Rückleuchten.

DAF-Neulingen dringen zwei akustische Besonderheiten ins Ohr. Erstens: Die Geräuschkulisse ver­harrt bei jedem Gasgeben in einer monotonen Dröhnfrequenz von mindestens 3000/min. Bekannt von modernen 50-ccm-Motorrollern, un­gewohnt bei einem Auto. Zweitens: Wegen des fehlenden Hinterachs­differenzials müssen die Variomatic-Riemen den Drehzahlunterschied der Hinterräder beim Rangieren mit Lenkeinschlag ausgleichen. In kal­tem Zustand ergibt sich ein Klang­bild, das zwischen startender Cessna und SAT.1-Glücksrad liegt.

Also lieber so einparken, dass man geradeaus wieder star­ten kann. Einmal in Schwung, er­lebt man einen wahren Höhen­flug: Der DAF ist deutlich agiler als seine Konkurrenten. Die Lenkung ist sehr direkt, die Ge­wichtsverteilung wegen des hin­ten verbauten Getriebes (Trans­axle) perfekt. Der DAF stürmt durch den Slalom, als wäre er genau dafür erfunden worden. Dabei klebt er auf der Straße, lässt sich kaum zum Ausbrechen mit dem Heck provozieren. Der klei­ne Holländer verträgt erstaunlich hohe Kurvengeschwindigkeiten. Komfort ist allerdings nicht seine Stärke: sein Fahrwerk ist straff, die Sitzposition hinter der etwas zu hoch stehenden Lenk­säule nicht optimal.

Plus/Minus
Bei keinem Auto dieses Ver­gleichs klaffen dessen Ruf und die tatsächlichen Fahreigenschaften so weit auseinander wie beim DAF. Das stets obligatorische stufenlose CVT-Getriebe ("Variomatic") brach­te dem kleinen Niederländer den Ruf als spaßbefreites Hausfrauen­auto ein. Jedoch ist der DAF fahr­technisch das Gegenteil: Eine opti­male Gewichtsverteilung, ein exakt ausbalanciertes Fahrwerk und eine direkt ansprechende Lenkung machen den 55er so fahrsicher und agil wie keinen der hier getes­teten Konkurrenten. Fahrspaß ist garantiert, daran ändert auch das stufenlose Getriebe nichts.

Zur Variomatic: Es gibt "weiche" und "harte" Riemen. Der Weiche er­möglicht bei Lenkeinschlag ge­räuscharmes Rangieren in kaltem Zustand, weil er den Drehzahlunter­schied zwischen den Rädern der differenziallosen Hinterachse gut ausgleicht. Nachteil: Er hält nicht länger als 5000 Kilometer. Der harte Riemen erzeugt beim Rangieren und bei eingeschlagener Lenkung in kaltem Zustand derart laute Geräu­sche, dass DAF-Neulinge schnell von einem kapitalen Schaden an der Hinterachse ausgehen. Dem ist je­doch nicht so: Der "harte" Riemen muss sich erst durch Geradeaus­fahrt erwärmen, um den Drehzahl­unterschied beim Rangieren aus­gleichen zu können. Dafür hält der "Harte" mindestens 40.000 Kilome­ter. Zum Wechsel der Fliehkraftele­mente und der Kupplung müssen Motor samt Kupplungsglocke aus­gebaut werden, dazu ist spezielles Werkzeug nötig. Die Kupplung ist verschlissen, wenn man zum Anfahren stets Vollgas geben muss. Die zuverlässigen Renault-Motoren sind von legendärer Haltbarkeit. Karos­serieseitig zählen die verschweiß­ten Kotflügel vorn, die Schweller, die hinteren Radläufe, die Endspitzen und die Bodenbleche zu den haupt­sächlichen Problemzonen. Glück im Unglück: Reparaturbleche und Anbauteile sind über den DAF Club Nederland problemlos erhältlich.

Marktlage
Von 164.000 hergestellten DAF 55 waren nur rund 11.000 Coupés. Davon sind Exemplare mit rahmenlo­sen Seitenfenstern vorn besonders sel­ten: Denn jene gab es ausschließlich im ersten Produktions­jahr 1969. Die größ­te Liebhaberszene findet man in den Niederlanden. Daher ist dort die Chance, ein gutes Auto zu ergattern, am größ­ten. Das Preisniveau ist immer noch niedrig: Coupés in gutem Zustand wer­den ab 5000 Euro gehandelt. Auch nahezu perfekt wie original erhaltene Top-Exemplare kosten selten mehr als 10.000 Euro.

Ersatzteile
Der kleine DAF hat eine sehr engagierte Fangemeinde, vor allem in seiner Heimat, den Niederlanden. Für sämtliche Verschleißteile, aber auch für bei anderen Marken oft schwierige Positionen wie Zier- oder Interieurteile gibt es meist erstaun­lich günstig Ersatzteile. Ansprech­partner wie der DAF Club Nederland oder Vereine wie dafhobby.com bieten originale Lagerware, Ge­brauchtteile und Nachfertigungen. Preisbeispiele von dafhobby.com: Seitenschweller links oder rechts je 64 Euro; kevlarverstärkte "harte" Antriebsriemen Variomatic 316 Euro; Endschalldämpfer 85 Euro.

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