Viele DDR-Bürger sehnten sich nach Autos aus dem Westen, doch zu Recht? AUTO BILD KLASSIK machte den Systemvergleich: Denn Westwagen gab es in der DDR schon vor dem Mauerfall. So rollten ab Januar 1978 ganze Güterzüge mit neuen VW Golf 1 von Wolfsburg in die DDR. Für insgesamt 10.000 Bürger im Ostteil Deutschlands erfüllte sich schließlich der Traum vom ersten Westwagen in Form eines Golf 1. Es waren natürlich zu wenig Autos. Vor den Verkaufsbetrieben bildeten sich Schlangen, 500, 600, 700 Menschen lang. Obwohl der VW ein Vermögen kostete: Je nach Motor und Ausstattung 27.000 bis 31.500 Ost-Mark, auf dem Schwarzmarkt waren es 10.000 DDR-Mark mehr.
Viele DDR-Bürger konnten vom Golf nur träumen
Zwei Drittel der Gölfe rollten nach Berlin. Die DDR-Führung wollte der Hauptstadt einen Anstrich in internationalen Farben verpassen. International war der Wartburg 353 nie. Rahmenbauweise, Zweitaktmotor und Freilauf waren typische Zutaten für DDR-Autos, für den Rest der Welt war es Technik von gestern. Ein Viertaktmotor, vielleicht von Dacia, eine selbsttragende Karosserie, vielleicht zusammen mit Skoda: Die Wartburg-Entwickler konstruierten moderne Autos, die DDR-Oberen verwarfen sie leider alle.
Direkter Vergleich der technischen Konzepte
Stehen beide Autos nebeneinander, fällt auf: Der VW Golf 1 ist magersüchtig. Extradünne Bleche und Scheiben, Türen wie aus Pappmaschee, die Blinker- und Scheibenwischerhebel sind innen hohl. Ergebnis: 808 Kilogramm Golf light. Auf den erschütternden ersten Eindruck folgt bald eine überraschende Erkenntnis. Das Auto fühlt sich mit den großen Scheiben, den Plastik-Armaturen und dem lackierten Blech an den Türen luftig und sympathisch provisorisch an. Elektrische Fensterheber, Zentralverriegelung und eine Klimaanlage fehlen. Und sie werden nicht vermisst.
Der Wartburg zeigt Größe
Schlank ist auch das Raumangebot des Golf. Und doch kneift er nicht unter den Achseln. Zumindest vorne. Hinten reicht der Platz nur für Kinderbeine. Außerdem drückt die kurze Lehne. In diesem Punkt gibt es keinen Ost-West-Konflikt. Kurze Lehnen nerven auch im Wartburg-Fond. Dahinter zeigt der Osten dagegen Größe: 525 Liter Kofferraumvolumen! Im Golf sind es 350. Eine Erweiterung ist – anders als im VW – nicht vorgesehen. Wozu auch? Schließlich trägt fast jeder Wartburg eine Kupplung für den DDR-Anhänger IFA HP 300 am Heck. Der kleine Hänger hat noch einen Vorteil: Das Ladegut muss nicht mühsam über die fast einen Meter hohe Ladekante des 353 gestemmt werden.
Jeder Dorfschmied konnte den Wartburg reparieren
Kanten und riesige Fugen sind normal für eine Wartburg-Karosserie. Schlamperei? Nein. Nahezu alle Karosserieteile sind angeschraubt, halten Abstand zum Nachbarteil. So konnte jeder Schrauber den Wartburg reparieren. Das Fahrwerk passt zum DDR-Straßenzustand. Hochbeinig und französisch weich saugt es Bodenwellen auf, verwandelt sie in sanfte Schaukelbewegungen. Was bleibt, schlucken die dicken Federkern-Sitze. Nur in diesem Punkt kann der straffer gefederte Volkswagen nicht mithalten. Sonst gewinnt er fast alle Kapitelpunkte für sich: Er fährt leiser, ist genauso übersichtlich, viel leichter bedienbar. Hier finden Sie schöne Wartburg 353.
Wartburg-Fahren wird schnell anstrengend
Räng-däng-däng-däng – so klingt Motorsound made in DDR. Ein Tag unterwegs im Wartburg, und dieses Geheule geht mit ins Bett. Der Zweitakter, im Prinzip eine DKW-Vorkriegskonstruktion, vermiest einem die Tour im 353-Oldie. Erst lächelt man noch über die lustigen Töne. Doch schon nach wenigen Metern wandern die Mundwinkel nach unten. Ist er noch kalt, will der Dreizylinder mühsam mit Choke und Gaspedal bei Laune gehalten werden. Er stottert, spuckt, läuft unrund, quält sich und raucht aus dem Auspuff wie der Vesuv kurz vor dem Untergang von Pompeji.
Wartburg-Dreizylinder nur was für Zweitakt-Fans
Hat der AWE 353/1 (so hieß der Motor intern) seine Betriebstemperatur erreicht, läuft er bei hohen Drehzahlen rund und stopft fleißig die Beschleunigungslöcher. Der Qualm bleibt. Aus dem Motorraum wird das Räng-däng-däng-däng nun vom dumpfen, dreizylindrigen Rumpeln übertönt. Keine Frage: Wer Spaß im Wartburg will, der gibt Gas, lässt den Motor arbeiten, zieht und schiebt wie besessen am Schalthebel durch die vier Gänge. Keine Angst: Zum rasenden Schuhkarton wird der Wartburg nicht. Mehr als 21 Sekunden vergehen bis 100 km/h, die einst versprochenen 130 Spitze erreicht er kaum. Doch Nervenkitzel ist garantiert. Der Wartburg benimmt sich im Grenzbereich, als sei die Fahrbahn mit Florena eingecremt. Jedes der einzeln aufgehängten Räder schlägt einen anderen Kurs ein, und der Chauffeur dreht hilflos am Steuerrad.
Im Golf jederzeit Herr der Lage
Wo der Wartburg hilflos durch die Gegend eiert, folgt der Golf der Hand seines Fahrers exakt. Sogar aus heutiger Sicht schlägt sich der Volkswagen beim Tanz um die Pylonen ganz passabel. Nur die hohen Lenkkräfte, das Zerren der Antriebsräder und das hakelige Vierganggetriebe signalisieren dem Fahrer: Dieser Typ hat mehr als 30 Jahre auf dem Buckel! Der Golf-Motor lässt den Fahrer sogar fast am Fortschritt der letzten Jahrzehnte zweifeln. 1,1 Liter klein und 50 PS schwach, dreht und ackert er, brummt kernig-fröhlich seine Melodie, vom typisch metallischen Auspuff untermalt. Dabei ist er spritzig wie Bolle und hinterlässt einen beinahe sportlichen Eindruck.
Fazit: Der Golf gewinnt
Mögen mich alle als Besser-Wessi beschimpfen, gegen den VW Golf 1 kommt der Wartburg 353 nicht an. Konstruktiv trennt die beiden Autos mehr als eine Mauer. Der Volkswagen ist ein Kind der 70er, seine Konstruktion der Zukunft zugewandt. Und so fährt er auch: modern, fast wie ein Auto von heute. Der Wartburg 353 war bei seinem Debüt 1966 technisch schon ein alter Hut. Den Zweitakter wollte auch in der DDR kein Mensch mehr riechen. Doch gerade das hat heute auch eine charmante Seite: Der Wartburg fährt sich nostalgisch, wie ein Auto aus den 50er-Jahren. Aus heutiger Sicht hat auch das seinen Reiz! Hier gibt es klassische VW Golf.
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