Sind die Zustandsnoten für Oldtimer zu kompliziert?

hace 4 años, 1 mes - 9 septiembre 2020, AutoBild
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Das System für Zustandsnoten für Oldtimer in Deutschland steht in der Kritik. Sind die Klassen zu kompliziert? Sollte das System revolutioniert werden? Zwei Redakteure diskutieren!

Die Zustandsnoten in Deutschland von 1 bis 5 sollen nun um ein Ausrufezeichen ergänzt werden. Doch schon heute sorgen unheitliche Definitionen von Gutachtern für Gesprächsstoff. Ist das System solide oder sollte es überarbeitet werden? Zwei Redakteure diskutieren:

Henning Hinze: "Das Notensystem gaukelt schon jetzt eine Präzision vor, die es nicht hat"

Grigori Alexandrowitsch Potjomkin war ein Fürst, den wir vor allem wegen einer unbelegten Legende kennen: Er soll sich die Zuneigung von Katharina der Großen erschlichen haben, indem er ihr mit Kulissendörfern und Komparsen eine Besiedlung Russlands vorgaukelte, die es nicht gab. Das System der Fahrzeug-Zustandsbewertung erinnert an diese Potjomkinschen Dörfer. Vorn eine hübsche Fassade aus den Noten Eins bis Fünf und sogar plus und minus dahinter, theoretisch ein gutes Dutzend verschiedene Noten. Hinter der Fassade aber eine wackelige Konstruktion: uneinheitliche Definitionen und vor allem Gutachter, die sie streng oder wohlwollend oder schlimmstenfalls nach Kundenwunsch anwenden und für ein und dasselbe Auto auf verschiedene, meist zu gute Noten kommen. Ist auch logisch: Kein Gutachter hat etwas davon, wenn er durch strikte Regelanwendung seinen Auftraggebern bescheinigt, dass ihr Oldie schlechter ist, als sie denken. Schon in der jetzigen Form gaukeln die Zustandsnoten so eine Präzision vor, die sie nicht haben. Verzweifelte Zuschriften von Lesern, die sich auf eine gute Note verlassen und einen schlechten Oldie gekauft haben, erreichen uns jeden Monat. Ihnen nur Naivität vorzuwerfen und zu raten, Hauptuntersuchungen und Gutachten mit spitzen Fingern anzufassen, würde das ganze System entwerten. An diese Noten jetzt ein Ausrufezeichen oder noch mehr Zusatzzeichen für Authentizität oder irgendwas zu hängen, ist akademisch und ohne Praxisbezug. Es ist eine Arabeske an einer Potjomkinschen Fassade. Es verschlimmert die Kluft zwischen Anschein und Realität. Ehrlich wäre, ein solides Fundament zu setzen. Und tragende Mauern.

Frederik E. Scherer: "Das System ist bewährt, wird aber nicht konsequent gelebt"

Zu kompliziert? So ein Quatsch. Die Bedeutung der Noten 1 bis 5 kennt jeder, der zu Schulzeiten stark in Deutsch und schwach in Mathe war. Das System ist einfach. Es darf nicht weiter simplifiziert werden, und das muss es auch nicht. Auf welcher Grundlage behaupten etwa Laien, dass ihr Fahrzeug ein "Zustand 2" ist? Klar, mancher Hobbyschrauber arbeitet auf Kfz-Meister-Niveau. Aber sind wir etwa alle Gutachter, dass wir uns anmaßen könnten, die Handhabung des Notensystems genau zu kennen? Und klar, mit Gutachtern ist es wie mit Mathelehrern: Es gibt gute und schlechte. Als wir vor meinem unverbastelten Originallack-Wohnmobil standen, hat mich mal ein Gutachter gefragt: "Was soll'n rauskommen?" Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich verstand, dass er den Marktwert meinte. Er verstand dagegen nicht, worauf es hier, in diesem individuellen Fall, ankommt.

Eine Zustandsnote bewertet den Zustand – nicht mehr und nicht weniger! Marktpreise sind Mittelwerte und stehen eigentlich auf einem völlig anderen Blatt. Wenn wir diese beiden Faktoren schon in Verbindung bringen, dann bitte in der richtigen Reihenfolge. Ich gestehe: Ich bin mit schuld an diesem Missverständnis. Ich weiß nicht, wie oft ich in Kaufberatungen Sätze geschrieben habe wie: "Exemplare in Zustand 3 gibt es ab 5000 Euro." Worauf ich hinauswill: Eine Zustandsnote bildet immer einen komplexen Sachverhalt ab und muss dem gerecht werden. Sie ist ein bewährtes System. Es muss nicht von jedem Laien spontan richtig verstanden werden. Es muss von den richtigen Experten richtig angewendet werden. Das "!" ist eine gute Gelegenheit, die Dinge in dieser Richtung zu verbessern.

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