Kaum zu sagen, wann das Nachhausekommen wirklich beginnt. Vielleicht in jenen Minuten, in denen ich das Land von oben sehe, der Lufthansa-Jet Canadair 900 aus Nordwesten kommend um Sibiu/Hermannstadt kurvt, einen Bogen über die Dörfer Großscheuern und Stolzenburg fliegt und dann wenig später auf Landebahn 27 aufsetzt.
Oder in dem Moment, in dem ich mich vor dem Hotel in Schäßburg in den DKW F5 Roadster setze. Er fahre ganz normal, sagt Ralf Hornung von Audi Tradition, der den Wagen betreut. Keine Starthilfe bei diesen sommerlichen Temperaturen, die Bremsen seien eher milde und die Quer- blattfeder an der Hinterachse von sehr begrenzter Wirksamkeit.
Der DKW ist eine Sensation
Vielleicht sollte ich mit dem Anfang beginnen. Denn womöglich ist ja Zuhause mehr als nur der Ort, an dem du deinen Hut hinhängst, wie Udo Lindenberg singt. Sondern einer, an dem du weißt, wie die Luft an einem Sommermorgen riecht und das Wasser im Schwimmbad schmeckt.
Anfang der 1970er-Jahre fährt ein roter offener DKW durch diese Stadt, er gehört einem jungen Musiklehrer. Ein Vorkriegswagen, ein Cabriolet – das ist eine Sensation, so etwas gibt es eigentlich nicht in Rumänien. Privatautos sind eher selten, meist gehören die wenigen Trabant, Skoda, Polski-Fiat oder Wartburg den Privilegierten aus Partei und Staatsdienst. Die Nomenklatura lässt sich im Wolga M21 oder Tatra 603 chauffieren.
Heute weiß ich, dass das Auto ein F5 Luxus-Cabriolet ist, die Karosserie um 1937 bei Baur in Stuttgart gebaut wurde. An das Zweitaktknattern kann ich mich noch erinnern, an die Decken auf den Sitzen und das bereits etwas zerfledderte Verdeck. Später ziehe ich in ein anderes Land. Der DKW bleibt – in Siebenbürgen und in meiner Erinnerung.
Alte Autos sind seither eine Konstante, es gibt sie auch in der neuen Heimat. Ein DKW taucht nur noch selten auf, doch im Düsseldorf der späteren 1970er sind angejahrte Exoten wie Mercedes 300 SL Roadster, Borgward Isabella Cabriolet oder Porsche 356 keineswegs selten. Ab und zu röhrt ein Ferrari 250 oder ein Maserati Mistral über die Königsallee. Wir fahren einen himmelblauen Audi 100, drei Jahre alt.
Heute weiß ich mehr über die Geschichte des DKW. Weil ich 40 Jahre später nach Uwe Horwaths Telefonnummer suche und ihn erzählen lasse. Wie er den DKW von seinem Vater übernahm, der den Wagen seinerseits durch wirre Nachkriegszeiten gerettet hatte. Er fährt danach den F5 bis in die 80er, kauft sich dann einen jüngeren VW Käfer. Damals verliert sich die Spur. Angeblich soll er in einem Hinterhof gelandet sein, aufgebockt und vergessen.
Rummel auf dem Burgplatz
Der Zweitakter im F5 Roadster rattert los, Kupplung, erster Gang, ganz unspektakulär. Wir rollen durchs Stadtzentrum, wo sich in den letzten 30 Jahren nicht allzu viel verändert zu haben scheint. Die Zufahrt zur historischen Altstadt ist – anders als früher – streng geregelt. Eine Schranke versperrt den Weg, wir benötigen Zufahrt- und Fotogenehmigung. Das klappt erstaunlich schnell, manchmal hilft es, wenn man die Landessprache ein wenig beherrscht.
Die Gebäude sind dieselben, doch sonst ist alles anders. Bereits am Vormittag ist die Innenstadt von Touristen überlaufen. Es gibt Cafés und Restaurants, wo früher halb versteckte Hauseingänge waren. Einige Fassaden sind renoviert, andere bröckeln vor sich hin, vor allem in den etwas abgelegeneren Ecken der Altstadt.
Der DKW ist die steile Kopfsteinpflasterstraße tapfer emporgeplöttert. Eng ist es in dem kleinen Roadster, und wenn Bremse, Kupplung und Gas kurz hintereinander betätigt werden sollen, empfiehlt es sich, die Füße vorzusortieren.
Touristen umringen ihn auf dem Burgplatz, rechts zieht sich die Schulgasse den Berg empor. Ob wir da hochfahren können, fragt der Fotograf. Können wir. Am Fuß der überdachten Schülertreppe, die seit dem 17. Jahrhundert den unteren Teil der Altstadt mit Schule und Kirche ganz oben auf dem Berg verbindet, halten wir an. Es gibt ein vergilbtes Schwarz-Weiß-Foto von Uwe Horwath, seiner Braut Justina und dem DKW an genau dieser Stelle, am 11. Juni 1974, ihrem Hochzeitstag. Wir folgen dem Weg bis zur Bergschule, dahinter die Kirche und der Friedhof mit efeuumrankten Grabsteinen, auf denen vertraute Namen stehen. Still ist es hier oben, die Schule geschlossen. Sommerferien in Rumänien.
Kaufberatung Audi 100 C1 (F104)
Unten auf dem Burgplatz ist der Trubel noch etwas dichter geworden. Am südlichen Ende steht seit über vier Jahrhunderten der Stundturm, früher Rathaus, seit über 100 Jahren das Heimatmuseum. Von ganz oben in 60 Meter Höhe wacht seit dem 18. Jahrhundert ein Doppeladler, das Wappentier der Habsburger.
Davor ist der Touristenrummel besonders dicht. Ein Haus am Rande des Platzes wurde Mitte der 1970er-Jahre zum Geburtshaus von Vlad Tepes erklärt, einem walachischen Warlord des 15. Jahrhunderts. Und wohl auch eine der Inspirationen für Bram Stokers Romanfigur Graf Dracula, obwohl es dafür keine Quellen oder Belege gibt. Jedenfalls ist das Haus nicht annähernd so alt, es stammt aus dem späten 17. Jahrhundert.
Dort vorn rechts hinter dem Torbogen hat ein Mädchen aus meiner Klasse gewohnt, vielleicht sollte ich mal anklopfen. Doch die Jugend ist kein Ort, zu dem man einfach so hinfahren kann – diese Einsicht ist nicht von mir, sondern von Nick Hornby. Wir fahren raus, einen weiteren Berg hinauf. Das Ausflugslokal über der Stadt gibt es seit mehr als 100 Jahren, also eher jung für diese Gegend.
Hier oben liegt dir die Stadt zu Füßen, kleiner und beengter zwischen Fluss und Bergen, als du sie in Erinnerung hast. Es gibt sehr guten Cappuccino aus Italien und Mineralwasser aus den Ostkarpaten. Auf der Abfahrt knistert sich der Roadster wieder kühl, wir fahren durch die Unterstadt. In einem der Hinterhöfe hier wurde das DKW-Cabriolet in den 1980er-Jahren zuletzt gesichtet. Ich halte im Schatten, sehe mich um. Vielleicht kommt ja jemand vorbei, der sagt, bei mir hinter der Scheune liegt ein Auto, das fast genauso aussieht. Es passiert natürlich nicht.
Inzwischen funktioniert das Spiel mit Gas, Kupplung und Schalthebel besser, der DKW rollt flüssig durch den spärlichen Verkehr, riecht nach verbranntem Zweitaktöl und ein wenig nach Lack. Denn dieser DKW ist frisch restauriert, er wirkt so, als habe er erst kürzlich bei Baur in Stuttgart-Berg eine neue Karosserie erhalten. Die Nadel zittert sich auf 80 km/h hoch, doch erst als die Landstraße, die die Stadt nach Nordwesten verlässt, wieder bergab führt. Zwei Stunden Fahrt sind es bis zum Flughafen. Die Straße schlängelt sich zwischen Hügeln hindurch, deren brachliegende Terrassen verraten, dass sie mal Weinberge waren.
Später sitze ich wieder im Flugzeug nach München. Eben war unten noch ein Dorf mit mauerumwehrter Kirche zu sehen. Dann steigt der Jet in die Wolken. Kein Land mehr in Sicht.
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