Ein schmaler Mond purzelt aus der Frühlingsnacht, zaghafte Sonnenstrahlen blinzeln durch schwere Wolken. Wir laufen im Nieseln zum Kassenhaus der Tankstelle, an der wir uns immer zum "Alten im Test" treffen und wo Hans schon wartet. Laut Drehbuch wäre es nun an Otto, den Diskurs über den Belag von Salami-Baguettes voranzutreiben, an mir, bei der Seniorchefin mit einem Kompliment abzublitzen, und an Hans, zu tun, als gehöre er nicht zu uns. Doch dann tippt er mir auf die Schulter, als ich ein Waschticket für eine "Frühlingswäsche" kaufen will:
"Ähm, Seb, wozu jetzt?"
"Die ‚Frühlingswäsche‘? Nun, heute hätte ich es zweckmäßig gefunden, sie zum Waschen zu nutzen. Oder ist dir eher nach der ‚Sommerwäsche‘?"
"Nein, aber darum geht es nicht."
"Sondern?"
"Wir haben kein altes Auto hier, das wir frühlingswaschen könnten."
"Oh! Stimmt, da war was."
Ein schmaler Mond purzelt aus der Frühlingsnacht, zaghafte Sonnenstrahlen blinzeln durch schwere Wolken. Wir laufen im Nieseln zum Kassenhaus der Tankstelle, an der wir uns immer zum "Alten im Test" treffen und wo Hans schon wartet. Laut Drehbuch wäre es nun an Otto, den Diskurs über den Belag von Salami-Baguettes voranzutreiben, an mir, bei der Seniorchefin mit einem Kompliment abzublitzen, und an Hans, zu tun, als gehöre er nicht zu uns. Doch dann tippt er mir auf die Schulter, als ich ein Waschticket für eine "Frühlingswäsche" kaufen will:
"Ähm, Seb, wozu jetzt?"
"Die ‚Frühlingswäsche‘? Nun, heute hätte ich es zweckmäßig gefunden, sie zum Waschen zu nutzen. Oder ist dir eher nach der ‚Sommerwäsche‘?"
"Nein, aber darum geht es nicht."
"Sondern?"
"Wir haben kein altes Auto hier, das wir frühlingswaschen könnten."
"Oh! Stimmt, da war was."
Denn der "Alte im Test" reist heute nicht mit uns, sondern samt kleiner Entourage per Transporter an. Dann jetzt aber fix ins Fahrerlager des Hockenheimrings, wo wir verabredet sind und genau so rechtzeitig eintreffen, dass es wie geplant aussieht. Der Laster rollt kurz nach uns durchs Tor, parkt und lässt die Hebebühnen-Heckklappe aufschwingen. Obgleich wir das häufiger erleben, ist es doch immer aufregend wie Geschenke-Auspacken an Weihnachten. Erst mal, weil wir das Auto wirklich bekommen. Dann der Moment, wenn wir es zum ersten Mal so ganz in echt sehen, vor allem wenn wir wie heute noch gar nicht ganz genau wissen, was für ein Modell wir bekommen. Besser könnte es nun gar nicht sein: ein BMW 2000 in einem Granadarot, das jede Wettertrübnis überstrahlt.
Ein Knick in der Optik
Dieser 2000 wird am 1. Juli 1971 auf Herrn Meyer in Hamburg-Eimsbüttel zugelassen, später kauft ihn Herr Baumann, der wohnt drei Straßen weiter – womöglich kennt man sich. Da liegt die Premiere der Modellreihe weit zurück: Am 21. September 1961 präsentiert BMW den 1500 auf der IAA. Er ist das erste Modell der Neuen Klasse – und BMWs letzte Chance. (Was BMW jetzt, 60 Jahre später, für die "Neue Klasse" plant, lesen Sie hier).
Die Finanzen sind Ende der 1950er arg ins Unausgeglichene verrutscht – wegen der breiten Lücke zwischen dem kleinen 600 und den staats- und starstragenden V8-Modellen 502 und 507. Nur ein 20-Millionen-Kredit von MAN und der Einstieg von Herbert Quandt verhindern die Übernahme durch Daimler und halten den Laden im Bayerischen am Motorenwerkeln.
Mit dem 700 kann sich BMW ab 1959 berappeln, doch an der Neuen Klasse hängt eine Zukunft, die bis heute reicht. Knapp ein Jahr nach dem IAA-Debüt startet die Produktion des – wie man damals stolz sagt – 1,5-Liter-Wagens. Sein 80 PS starker Vierzylinder ist die erste Version der Motorenreihe M10, die Alexander von Falkenhausen entwickelt und die ein Vierteljahrhundert später noch den Dreier (316/318) antreiben wird. Bis heute überdauern zwei weitere Sachen, die BMW sich für die Neue Klasse ausdenkt: zum einen der Knick, den Chefstylist Hofmeister ihr in die C-Säule zeichnet. Stimmt, die knickst schon beim rund 600-mal gebauten 3200 CS, aber der 1500 ist der erste Großserien-BMW damit. Die zweite Sache? Wohl die allerwichtigste von allen: die Freude am Fahren.
Eine Ode an die Freude
Man mag nun einwenden, tatsächlich begründe die Neue Klasse die Tradition sportlicher BMW nicht, sondern schließe nur an jene des 328 an. Aber zählt es nicht zu den Höflichkeiten eines Geburtstags, die Vergangenheit für den Jubilar ein wenig ins Glanzvolle zu rücken? Eben. Und tatsächlich erwächst BMW mit dem 1500 zum sportlichen Rivalen von Mercedes – erst recht mit den stärkeren Versionen TI (110 PS), tilux (120 PS) und tii (130 PS). Erfolgreichstes Modell der Reihe aber ist der 2000. Der kommt 1966 mit Rechteckscheinwerfern und einem Zweilitermotor mit 100 PS, die damals so was von 100 PS sind. Und heute erst recht.
So, genug geplaudert, derweil hat sich der Motor warm gelaufen. Als Zweiliter hat der M10 exakt 89 mm mehr Hub als der 1800er, dazu gepanzerte Auslassventile, acht Kurbelwellenlager und – Obacht! – eine spritzdüsengeschmierte Nockenwelle. (Ach, wie leicht wäre es gewesen, mit solch einem Detail – verschwörerisch ins Ohr geflüstert – Aufmerksamkeit und Herzen auf dem Oktoberfest zu erobern. Jetzt: abgesagt, die Wiesn.)
Wie immer fahren wir zuerst auf die Waage, welche dem soliden, vollgetankten Wagen die Leichtigkeit von 1.177 Kilo bescheinigt. Ganz in der Balance liegen sie nicht, 53 Prozent drücken auf die Vorderachse. Zurück in die Box, Messgeräte einbauen, GPS-Sensor aufs Dach und auf die Strecke, bevor wieder Regen aufzieht und verhindert, dass wir die Bescheidenheit des Wagens dokumentieren können. Gerade in ihr zeigt sich wahre Größe.
Der 2000 hat es nicht nötig, mit Geschwindigkeitsangaben anzugeben. Stattdessen zeigt sein Tachometer stets zu wenig an – nicht so viel, dass man deswegen in Blitzer rasselte. Doch genug, damit sich dieser BMW immer etwas schneller anfühlt als andere Autos (das ist so genial, da könnte man fast Absicht unterstellen). Das Gefühl besonderer Vehemenz findet weitere Unterstützung dadurch, dass der Zurückhaltung der Tempobezifferung eine offensiv vorgetragene Geräuschkulisse entgegensteht. Sie gründet auch in der kurzen Übersetzung und den engen Gang-sprüngen der Viergangschaltung.
Ob es der Beschleunigung zu Temperamentsfülle verhilft? Um das zu klären, halten wir in der Auslaufzone der Spitzkehre. Drehzahl steigt, Kupplung greift, Hinterreifen radieren, los. Wie so oft gilt es, den Geschwindigkeitszuwachs nicht nur nach Zeit zu ermessen, sondern nach Intensität, Inbrunst gar. Damit reckt sich der BMW die Gerade voran, tourt der Motor die Drehzahltausender empor, setzt nach jedem Gangwechsel ein paar Hundert Touren tiefer mit demselben Ungestüm an, um erneut Richtung 6-5 zu stürmen. Der Wert von 14 Sekunden für Nullaufhundert vermag der Ereigniskraft dieses Vorgangs keinen angemessenen Ausdruck zu verschaffen. Wobei wir doch darauf hinweisen wollen, dass der 2000 im Test vor 50 Jahren an selber Stelle keine Sekunde schneller war; pilotiert von Herren, die ihn – er war ein Testwagen, kein Klassiker – erheblich schärfer (so sagten sie damals voll Herrenfahrerstolz) gefahren haben dürften als wir heute.
Dafür dürfen wir nun die Ereignisse der Bremsprüfung ins sachte Licht des Ungefähren tauchen, weil die Ergebnisse, welche die Scheiben-Trommel-Anlage erzielt, ungefähr da liegen, wo wir sie erwarteten. Halten wir uns damit nicht weiter auf, sondern kurven wir auf die Gerade vor der Tribüne, wo die Pylonen für Spurwechsel und Slalom stehen.
Und stehen bleiben. Denn der 2000 lässt sich zentimeterexakt an ihnen entlangsteuern. Wobei daran die brillante Übersichtlichkeit der Limousine mit ihren dürren Dachsäulen kaum geringeren Anteil hat als die Wirkungskraft der indirekten ZF-Gemmer-Lenkung. Wie jedes große Werk sollte man das Handling des 2000 in seiner Zeit sehen. Damals gilt es als aufrührerisch-scharf. Das Verständnis von Schärfe spitzt sich mit den Jahrzehnten zu. Angesichts dessen fährt der BMW doch behände durch den Slalom, legt sich ordentlich rein. Hat er ein wenig Hitze in den Vorderreifen, lässt er das Untersteuern sein, zuckt bei Lastwechseln mit dem Heck und findet zu dieser Leichtfertigkeit, welche bis heute die Klasse neuer BMW ausmacht.
Wir vermessen Innenraum und Wendekreis und machen uns auf die Verbrauchsfahrt, die bis zum Treffpunkt mit dem schon vorausgefahrenen Transporter reicht. Was für ein erhabener Wagen der 2000 ist, dessen stattliche Motorhaube sich auf der A 6 dem Horizont entgegenreckt, als der Motor ihn mit der Drangfülle frühen Drehmoments im großen Gang beschleunigt.
Durch die Ausstellfenster flattert Frühlingskühle, während das Fahrwerk Unebenheiten friedfertiger wegsteckt als erwartet. Obwohl BMW beim 2000 extra die Feder-Anlenkpunkte an der Schräglenker-Hinterachse zurückversetzt, gilt er als unkomfortabler Wagen. Na, Bequemlichkeit ist auch nur eine Frage der Zeit, denken wir, als wir schließlich neben dem Transporter halten.
Der wartet neben der Waschanlage unserer anderen Stammtanke. Als er mit dem BMW 2000 wegfährt, winken wir ihm wehmütig hinterher. Dann stehen wir wieder ohne altes Auto im Nieselregen an einer Tankstelle und schauen bedröppelt aus der – Sie ahnen es – Frühlingswäsche.
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